"Graue Wölfe" in Köln
Der folgende Text basiert in weiten Teilen auf dem Artikel “Graue Wölfe heulen noch. Hintergrund und Wirken extrem rechter türkischer Organisationen in der BRD” von Kemal Bozay, veröffentlicht in: LOTTA - Antifaschistische Zeitung aus NRW, #17, Sommer 2004. Bozay ist Ko-Autor des Buches “Graue Wölfe heulen wieder. Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in der BRD” (Münster 2000).
Er habe das nicht gewusst, sagt
Jürgen Hollstein. Er habe “einfach einem türkischen
Kulturzentrum gratulieren” wollen. Der Vorsitzende des
Kölner CDU-Kreisverbandes war fotografiert worden, als er
im Juni 2008 an der Wiedereinweihung des türkischen
Kulturzentrums in Köln-Mülheim teilnahm; ein Pressefoto
zeigt Hollstein neben dem stellvertretenden Vorsitzenden
der Milliyetçi Hareket Partisi (MHP), einer extrem rechten
türkischen Partei. Hollstein hätte es wissen können, sagen
viele. Dass das türkische Kulturzentrum in Mülheim den
Grauen Wölfen nahesteht, einer extrem rechten Bewegung
türkischer Nationalisten, ist allgemein bekannt. Insofern
kann es nicht verwundern, dass Hollstein und seine
ebenfalls anwesende Parteikollegin Ruth Hieronimy bei der
dortigen Feier auch auf andere Politiker der extrem rechten
MHP trafen. Und nicht nur sie: Laut Medienberichten waren
in Mülheim auch Mitglieder des Deutsch-Türkischen Forums
(DTF) der CDU präsent. (1) Im Nachhinein distanziert sich
Hollstein von seiner Teilnahme an dem Treffen. Der Vorgang
besitzt dennoch einige Brisanz, weil er kein Einzelfall
ist, sondern mit immer wiederkehrenden Annäherungsversuchen
zwischen extrem rechten Grauen Wölfen und den deutschen
Unionsparteien in Zusammenhang steht.
Die Grauen Wölfe sind eine extrem rechte Bewegung
türkischer Nationalisten, die ihren Namen der mythischen
Sagenwelt entlehnt. Demnach soll Bozkurt (“Grauer Wolf”)
einst die türkischen Stämme vor der Unterwerfung gerettet
und aus Zentralasien in das Gebiet der heutigen Türkei
geführt haben. Die heutigen Grauen Wölfe zeichnen sich
durch einen krassen Nationalismus aus, der den Aufbau eines
Großtürkischen Reiches von Südosteuropa bis nach Westchina
anstrebt. Verbunden ist der Plan mit einem ausgeprägten
Rassismus, der sich gegen alle nicht-türkischen
Bevölkerungsteile richtet, vor allem gegen Kurden und
Armenier. Die Grauen Wölfe agitieren zudem gegen Linke,
insbesondere auch gegen demokratische Institutionen wie
Gewerkschaften. (2) Sie selbst bezeichnen sich häufig als
“Idealisten” (Ülkücü). Besonders stechen sie durch
Aktionismus hervor. “Ein Idealist ist in der Regel nicht
ein Mann des Denkens, sondern immer ein Mann der Aktion”,
schrieb einst einer der führenden Ideologen der Milliyetçi
Hareket Partisi (MHP), der Partei, die in der Türkei den
größten Teil der Graue Wölfe-Bewegung zusammenfasst. Zu den
“Aktionen”, die die Grauen Wölfe in der Vergangenheit
durchgeführt haben, gehören zahlreiche politische Morde.
“Alle Denkweisen, alle Handlungen und alle Meinungen, die
von Handlungs- und Denkweisen der Idealisten abweichen”,
heißt es weiter in dem Text des MHP-Ideologen, “besitzen
keine Gültigkeit.” (3)
In Deutschland sind die Grauen Wölfe vor allem in der
Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in
Europa (Türk Federasyon, ADÜTDF) organisiert. Diese wurde
am 18. Juni 1978 gegründet und hat ihren Sitz in Frankfurt
am Main. Alte Parteimitglieder und Funktionäre der MHP
sitzen in Schlüsselpositionen der Organisation.
Angeschlossen sind der Türk Federasyon rund 200 Vereine in
Deutschland, die sowohl als Kultur-, Eltern-, Jugend- und
Sportvereine als auch als Moscheen auftreten. Ihr Ziel ist
es, die Ideologie der Grauen Wölfe unter der
türkischsprachigen Bevölkerung zu verbreiten. Seit 1999
bewegt sich im Umfeld der Türk Federasyon auch eine
studentische Vereinigung, die Organisation ATTKO (Türkische
Studenten- und Kulturvereine in Deutschland), die Personal
für die Grauen Wölfe mobilisieren soll.
Demonstration der “Grauen
Wölfe” in Köln am 4. November 2007
In Köln hat eine Abspaltung von
der Türk Federasyon ihren Sitz, die Avrupa Türk-Islam
Birligi (ATIB, Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine
in Europa). Sie geht auf Auseinandersetzungen in den 1980er
Jahren zurück, die mit der damaligen Islamisierung der MHP
verbunden waren. Im Oktober 1987 spaltete sich schließlich
der frühere ADÜTDF-Vorsitzende Musa Serdar Celebi von der
Türk Federasyon ab und gründete die ATIB. Diese propagiert
den Islam als konstituierendes Element des Türkentums; ihr
gehören rund 100 Vereine an. ATIB verfügt über gute
Kontakte in die Unionsparteien und die FDP sowie zum
Zentralrat der Muslime in Deutschland.
Auch die rechts-nationalistisch und islamistisch
orientierte ANF (Avrupa Nizami Alem Federasyonu -
Föderation der Weltordnung), die sich Mitte der 1990er
Jahre von der MHP abgespalten hat, hat in mehreren
bundesdeutschen Großstädten Stützpunkte, auch in Köln. Sie
versucht gerade durch Jugend- und Bildungsarbeit, dem
türkischen (Rechts-)Nationalismus einen neuen Aufwind zu
geben. Die Mutterpartei der ANF in der Türkei ist die BBP
(Büyük Birlik Partisi - Große Einheitspartei), auf deren
Konto die Ermordung des armenischen Journalisten und
Schriftstellers Hrant Dink geht.
Eine enge Verbundenheit zwischen deutschen Rechtsextremen
und den Grauen Wölfen bzw. ihrer Partei MHP ist schon lange
belegt. “Die Gemeinsamkeiten unserer Parteien hinsichtlich
der Ziele haben mich besonders gefreut. Wir haben
gemeinsame ideologische Ziele”, schrieb bereits 1970 der
damalige Vorsitzende der NPD in einem Brief an den Graue
Wölfe-Gründer Alparslan Türkes: “Wir haben den Vorschlag
des gegenseitigen Besuchs von Jugendgruppen einstimmig
akzeptiert”. Michael Kühnen, Gründer der neonazistischen
Aktionsgemeinschaft Nationaler Sozialisten (ANS), erklärte
1978: “Wir haben sowohl im Inland als auch im Ausland gute
Beziehungen. Wir kennen die Grauen Wölfe und wir haben
Respekt vor ihnen. Wir hegen für ihre Ziele Sympathie.”
Heute knüpft die MHP stärker an die Unionsparteien an, vor
allem, seit Alparslan Türkes 1995 auf einer Versammlung der
Türk Federasyon zum Eintritt in CDU und CSU aufgefordert
hat.
Hintergrund ist das Konzept des “Europäischen Türkentums”.
Es zielt auf Migranten, die ihren Lebensmittelpunkt in
Europa haben, aber dennoch weiterhin einer
türkisch-nationalistischen Identität anhängen sollen. Es
geht darum, die Bindung der Migranten an Werte und
Institutionen der Türkei zu stärken und in Europa die
Mobilisierbarkeit im Sinne einer türkisch-nationalistischen
Lobby stabil zu halten. Dabei fordern nahezu alle extrem
rechten türkischen Organisationen ihre Mitglieder auf, die
deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen; sie sollen diese
nutzen, um mit allen ihren Rechten für türkisch-nationale
Interessen einzutreten, in politischen, sozialen und
kulturellen Einrichtungen, besonders auch in Parteien.
Dies betrifft seit Türkes’ Aufforderung aus dem Jahr 1995
vor allem die Unionsparteien. Insofern ist es von größerem
Interesse, dass laut Presseberichten Mitglieder einer
Moschee-Gemeinde, die den Grauen Wölfen nahesteht,
Funktionen in der Kölner CDU innehaben - was gerade bei
demokratischen türkischen CDU-Mitgliedern auf Empörung
stößt. (4) Erst dieser Hintergrund offenbart die Brisanz
des Mülheimer Auftritts von Hollstein und Hieronimy.
Immerhin gibt Hollstein zu, Passagen einer Rede bei der
Wiedereinweihung des türkischen Kulturzentrums hätten
“recht nationalistisch” gewirkt. Hieronimy hingegen ist
nach wie vor überzeugt, Kontakte zwischen dem Zentrum und
der extremen Rechten gebe es nicht.
(1) wdr.de 23.06.2008
(2) Fikret Aslan, Kemal Bozay u.a.: Graue Wölfe heulen wieder. Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in der BRD, Münster 2000
(3) LOTTA - Antifaschistische Zeitung aus NRW 17/2004
(4) Kölner Stadt-Anzeiger 23.06.2008