„Autonome Nationalisten“: Die AG Rheinland

Ein relativ neues, aber sehr dynamisches Phänomen innerhalb der rechtsextremen Szene sind die so genannten Autonomen Nationalisten (AN). Neu ist dabei weniger ihre inhaltliche Ausrichtung als vielmehr ihr Stil und ihr Auftreten. Die “Autonomen Nationalisten” kopieren vor allem die Ästhetik und die Aktionsformen von linken Autonomen und Antifas und bedienen sich außerdem bei der Hip Hop- und vor allem der Hardcore-Szene.

Die “Autonomen Nationalisten” werden von der breiten Öffentlichkeit vor allem seit den Ausschreitungen bei einer neonazistischen Demonstration am 1. Mai 2008 in Hamburg wahrgenommen. “Autonome Nationalisten” griffen aus der Demonstration heraus Polizei und Journalisten gewalttätig an und verletzten sie zum Teil schwer.

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“Autonome Nationalisten”

Die “Autonomen Nationalisten” entstanden im Umfeld der “Freien Kameradschaften”. 2002 trat erstmals eine entsprechende Gruppierung in Berlin in Erscheinung. Mittlerweile gibt es sie im gesamten Bundesgebiet. Schwerpunkte sind Berlin, München, Thüringen und vor allem Nordrhein-Westfalen.

Die “Autonomen Nationalisten” stehen für eine stilistische Veränderung in der rechten Szene. Anstelle von klassischem Naziskin-Outfit, HJ-Frisur und Hitlerbärtchen, statt Hosenträgern und Knickerbockern versuchen sie sich mit Kapuzenpullis, Baseballcaps, Windbreakern, Baggy-Pants oder Cargo-Hosen ein deutlich moderneres, “revolutionäres” Outfit zu verpassen. Sie trimmen historische Embleme wie etwa die Fahne der Antifaschistischen Aktion auf rechts. Sie übernehmen aktuelle linke Symbole wie zum Beispiel das Logo antifaschistischer Hardcore-Punk-Anhänger mit dem Schriftzug “Good night white pride”, indem sie den Slogan in “Good night left side” verwandeln. Neu ist auch der häufige Gebrauch von Anglizismen wie zum Beispiel “Fight the System”. Dies ist recht auffällig in einer Szene, die weiterhin “Weltnetz” statt Internet und “Funkfernsprecher” statt Telefon sagt.

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Neonaziaufmarsch mit “Autonomen Nationalisten”-Block an der Spitze im Oktober 2007 in Neuss

Ergebnis des ästhetischen Wandels ist, dass Gruppen “Autonomer Nationalisten” genauso aussehen wie der linksautonome “Schwarze Block”. Ihre Aufmärsche sind geprägt durch Transparente mit modernen Schriftzügen und Grafiken. Statt mit Marschmusik oder rechten Liedermachern, die eine Aura von vorgestern verströmen, werden ihre Aufmärsche mit modernem Pop, mit den Ärzten oder auch mit Rio Reiser beschallt.

Die Gründe sind zum einen strategischer Art. So erklären die Autonomen Nationalisten Wuppertal/Mettmann ihr Alternativkonzept folgendermaßen: “Wir setzen uns dafür ein, alle relevanten Teile der Jugend und der Gesellschaft zu unterwandern und für unsere Zwecke zu instrumentalisieren. Es spielt keine Rolle, welche Musik man hört, wie lang man seine Haare trägt oder welche Klamotten man anzieht.” Der Kölner Neonazi Axel Reitz beschrieb diese Strategie so: “Diese ‘Autonomen’ kopieren den Stil und die Aufmachung der linken Strukturen und von linken bisher agitierten Jugendkulturen, dabei werden die bekannten Symbole und Outfits mit unseren Inhalten besetzt und in unserem Sinne interpretiert. ... Mittels dieses Auftretens besteht die Möglichkeit, sozusagen unerkannt, da dem bekannten Bild des ‘Faschisten’ entgegen laufend, in die bisher von gegnerischen Lagern beherrschten Gebiete vorzudringen, politisch und kulturell. Graffitis sprühen, unangepasst und ‘hip’ sein können nicht nur die Antifatzkes, sondern auch wir, damit erreichen wir ein Klientel, welches uns bis dato verschlossen geblieben ist.” Auf der anderen Seite handelt es sich nicht nur um ein “Versteckspiel”. Die “Autonomen Nationalisten” sind vielmehr Ausdruck davon, dass in einigen Szenen die Grenzen nach rechts sehr viel fließender geworden sind.

Inhaltlich werden die “Autonomen Nationalisten” dem Begriff “autonom” jedoch nicht gerecht. Im Gegensatz zu den Linksautonomen lehnen sie hierarchische Strukturen nicht ab - ganz im Gegenteil. Ihre “Autonomie” bezieht sich lediglich auf Unabhängigkeit gegenüber Parteien wie z.B. der NPD. Inhaltlich liegt man zwar mit den anderen neonazistischen Spektren auf einer Wellenlänge: Auch bei den “Autonomen Nationalisten” steht weiterhin das Bekenntnis zu Volk, Rasse und Nation im Mittelpunkt. Lediglich die “Verpackung” ist neu. Diese aber trifft auf Widerspruch. So lehnen viele Rechtsextreme das hooliganhafte Demonstrationsverhalten der “Autonomen Nationalisten”, ihr revolutionäres Gehabe und ihr Outfit ab. Auf diese Weise könnten keine politischen Inhalte an das deutsche Volk transportiert werden, heißt es. Manchmal entbrennen hochemotionale Diskussionen darüber, ob englischsprachige Ausdrücke verwandt werden dürfen und ob beispielsweise Homer Simpson eine geeignete Figur für rechte Transparente sei. Viele halten das Nachahmen linker Kleidungsstile und Parolen einfach nur für albern.

Die AG Rheinland

Nordrhein-Westfalen ist ein Schwerpunktgebiet der “Autonomen Nationalisten”. Als überregionale Vernetzungsstrukturen fungieren die AG Mitte (Ruhrgebiet), die AG Rheinland (Aachen und Rheinland) und die AG Ruhr-Lippe (Westfalen und Sauerland).

Die AG Rheinland wurde im Sommer 2007 auf Initiative der Anti-Antifa Aachen/Düren gegründet - mit dem Ziel, die regionalen Strukturen zu verbessern und die Zusammenarbeit voranzutreiben. Inzwischen haben sich diesem Netzwerk folgende Gruppierungen angeschlossen: Autonome Nationalisten Herzogenrath, Autonome Nationalisten Köln, Kameradschaft Köln, Autonome Nationalisten Aachen, Sturmbund Aachen, Autonome Nationalisten Düren, Autonome Nationalisten Mettmann, Autonome Nationalisten Pulheim und Autonome Nationalisten Leverkusen. Dabei unterscheiden sich die Gruppen deutlich in ihrer Stärke. Während in einigen von ihnen lediglich ein paar Einzelpersonen aktiv sind, gelingt es anderen, ihrer Region einen Stempel aufzudrücken.

Das Verhältnis zu anderen rechtsextremen Gruppen ist zum Teil durch Spannungen geprägt. So fiel der erste gemeinsame Auftritt der AG Rheinland, der Kameradschaft Aachener Land (KAL) und der NPD Düren, der im Rahmen eines Aufmarschs in Düren im September 2007 geplant war, ins Wasser. Vor allem die NPD wollte einen “Schwarzen Block” nicht akzeptieren. Einige Wochen später jedoch marschierten die drei Strömungen - “Autonome Nationalisten”, “Freie Kameradschaften” und NPD - bei einem Aufmarsch in Neuss wieder miteinander.

Außen stylish, innen braun - zu den Positionen der AG Rheinland

An der Propaganda der AG Rheinland fällt vor allem ein sich antikapitalistisch und revolutionär gebender Sprach- und Politikstil auf, der meist in die Forderung nach Bekämpfung und Beseitigung des “Systems” mündet. Die radikalen Parolen werden jedoch inhaltlich nicht gefüllt. Es geht keineswegs um eine fundamentale Kapitalismuskritik, die auf eine radikale Neuordnung der Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse abzielt; der Kern kapitalistischer Strukturen wird überhaupt nicht beleuchtet. Stattdessen thematisiert die AG Rheinland die Fixierung auf Konsum, die Jugendarbeitslosigkeit, eine angebliche “Überfremdung” und die verbreitete Perspektivlosigkeit. Dieser “pseudoradikalen” Systemkritik entsprechen auch die Aktionsformen: So rief die AG Rheinland einmal zu einem Tankstellenboykott gegen zu hohe Benzinpreise auf.

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Wie viele andere extrem rechte Grup­pierungen ergänzt die AG Rheinland ihre pseudo-antikapitalistische Argumentation um die üblichen antisemitischen Verschwörungstheorien. So schwadronieren ihre Mitglieder, Deutschland werde durch “fremde Mächte” (gemeint sind Juden) beherrscht und gesteuert, die wiederum zum Wohle einer herbeifantasierten “jüdischen Hochfinanz” und der USA arbeiteten. Weitere Feindbilder der “Autonomen Nationalisten” sind Migrantinnen und Migranten, Schwule, Lesben und Linke, darunter jeweils besonders Antifaschistinnen und Antifaschisten.

Die AG Rheinland stellt für die Zukunft, wenn sie das “System” beseitigt haben will, ein Deutschland in Aussicht, “welches an die besseren Zeiten anknüpft”. Damit ist nichts anderes als die Nazizeit gemeint. Die positiven Bezüge zum historischen Nationalsozialismus finden sich in Schmierereien einzelner Gruppierungen der AG Rheinland wieder: Hakenkreuze, Rudolf Heß-Bildchen - alles, was der bekennende Nazi braucht.

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Aktivitäten der AG Rheinland

Die “Autonomen Nationalisten” im Rheinland sind stark aktionsorientiert. Man kann Orte, an denen sie aktiv sind, meist an ihren Hinterlassenschaften erkennen - an rechtsextremen Schmierereien und an der Häufung einschlägiger Aufkleber, etwa in Pulheim, Leverkusen, Köln-Poll oder Esch. Für viele dieser Aufkleber zeichnet ein gewisser Björn Herhaus aus Gummersbach verantwortlich, der auch Anmelder der Internetseite “Nationales Infoblatt” ist.

Die “Autonomen Nationalisten” entwickeln zahlreiche Aktivitäten im lokalen Alltag. Manchmal führen sie Mahnwachen durch oder werfen Propagandaschnipsel auf belebte Plätze. Vor allem aber machen sie durch die Bedrohung von Menschen, durch Einschüchterung und durch gewalttätige Übergriffe auf sich aufmerksam. Bevorzugtes Ziel ihrer Attacken sind antifaschistische, linke oder alternative Jugendliche. Dabei gehen sie planvoll und zum Teil extrem gewalttätig vor (siehe "Übergriffe").

Auf Versuche, die Öffentlichkeit über ihre Aktivitäten aufzuklären, reagiert die AG Rheinland sehr empfindlich. So wurde eine Veranstaltungsreihe über die “Autonomen Nationalisten” von massiven Einschüchterungsversuchen begleitet - beispielsweise gab es Drohungen gegen Vermieter der Veranstaltungsräume; auch fanden öffentliche Gegenaktionen statt. Zum Teil versuchten jedoch auch städtische Offizielle, Informationsveranstaltungen zu unterbinden.

Die Polizei ist mittlerweile aktiv geworden und hat mehrere Wohnungen von Mitgliedern der AG Rheinland in Pulheim, Köln und Euskirchen durchsucht. Die Vorwürfe lauten auf Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen, Volksverhetzung und Sachbeschädigung.

Weitere Aktionsschwerpunkte der AG Rheinland liegen auf der Organisation von Aufmärschen in der Region und auf der Teilnahme an bundesweiten Demonstrationen. Dabei ist das Gewaltpotenzial, das die “Autonomen Nationalisten” auf Demonstrationen entwickeln, ein neues Phänomen. Bislang hatte sich die extreme Rechte gewöhnlich bemüht, wenigstens bei öffentlichen Auftritten einen halbwegs ordentlichen und seriösen Eindruck zu erwecken. Diese Zeiten sind für die “Autonomen Nationalisten” vorbei.

Am 12. April 2008 organisierten die “Autonomen Nationalisten” gemeinsam mit weiteren extrem rechten Gruppen einen Aufmarsch in Stolberg, zu dem rund 800 Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet anreisten. 600 von ihnen waren schwarz vermummte “Autonome Nationalisten”, die sich Rangeleien mit der Polizei lieferten. Anlass für den Aufmarsch war die Ermordung eines vermeintlichen Sympathisanten der rechten Szene durch Migranten. Obwohl die Polizei einen politischen Hintergrund ausschließt und die Familie des Ermordeten sich gegen die Vereinnahmung ihres Sohnes durch die rechte Szene wehrt, marschierten Neonazis aus dem gesamten Spektrum von der NPD bis zu den “Autonomen Nationalisten” mittlerweile schon zum dritten Mal in Stolberg auf.